Friedrich von Hagedorn (1708-1754)
Susanna im Bade
Susannens Keuschheit wird von allen hoch gepriesen:
Das junge Weib, das jeder artig fand,
tat beiden Greisen Widerstand
und hat sich keinem hold erwiesen.
Ich lobe, was wir von ihr lesen:
doch räumen alle Kenner ein;
das Wunder würde größer sein,
wenn beide Buhler jung gewesen.
unbekannt
Die Jugend, wie sie immer war
Ein Junge will vom Weihnachtsmann
am liebsten einen Hampelmann.
Die Mädchen, anders als die Knaben,
die möchten gern ein Püppchen haben.
Wenn sie dann groß und aufgeklärt,
ist das Verhältnis umgekehrt.
Ein Püppchen suchen sich die Knaben,
'nen Hampelmann will's Mädchen haben,
den es fest an der Strippe hält
und zappel lässt, wie's ihr gefällt.
Vielleicht wird mancher protestieren:
"Mir könnte so was nicht passieren,
ich bin ein gewiefter Frauenkenner!"
Das sind die größten Hampelmänner.
Joachim Ringelnatz (1883-1934)
Ich habe dich so lieb
Ich habe dich so lieb!
Ich würde dir ohne Bedenken
Eine Kachel aus meinem Ofen
Schenken.
Ich habe dir nichts getan.
Nun ist mir traurig zu Mut.
An den Hängen der Eisenbahn
Leuchtet der Ginster so gut.
Vorbei – verjährt –
Doch nimmer vergessen.
Ich reise.
Alles, was lange währt,
Ist leise.
Die Zeit entstellt
Alle Lebewesen.
Ein Hund bellt.
Er kann nicht lesen.
Er kann nicht schreiben.
Wir können nicht bleiben.
Ich lache.
Die Löcher sind die Hauptsache
An einem Sieb.
Ich habe dich so lieb.
Hans Retep (geb. 1956)
Bitterliche Klage eines Liebhabers
Ich saß am Telefönchen
Doch kam kein einz’ges Tönchen
Um acht!
Ich saß am Telefönchen
Doch kam kein einz’ges Tönchen
Um neun!
Und ich saß am Telefönchen
Und es kam kein einz’ges Tönchen
Um zehn!
Wie bitteschön
Soll ich das verstehn?
War ich am falschen Örtchen für ein Wörtchen?
Sind Deine Gefühlchen am Verkühlchen?
Oder ist unser Liebchen am Verstiebchen?
Ach! Mein Herzchen ist am Schmerzchen
Und ich sitze am Telefönchen
Und ich wart auf ein einz’ges Tönchen
Von Dir!
Christian Felix Weiße (1726-1804),
Der Kuss
Ich war bei Chloen ganz allein,
Und küssen wollt ich sie:
Jedoch sie sprach: sie würde schrein,
Es sei vergebne Müh!
Doch wagt ich es, und küsste sie,
Wie oft? fällt mir nicht ein!
Und schrie sie nicht? Ja wohl, sie schrie - -
Doch lange hinter drein.
Wilhelm Müller (1794-1827)
Amor, ein Sprachlehrer
Amor ist ein Sprachverderber,
Wortverdreher, Lautverwirrer,
Der beim großen Turm zu Babel
Schon die Händ' im Spiele hatte.
Wenn ich weine, raunt er leise
Mir ins Ohr etwas von Wonne;
Wenn ich schmachte, lässt er dennoch
Reden mich von Seligkeiten.
In dem lauten Schwarm der Feste
Muss ich, diesem Lehrer folgend,
Sagen, dass ich einsam stehe,
Und im einsam stillen Haine
Darf ich mich allein nicht nennen.
Bittersüß und lieblichherbe,
Grausam mild und labend schmerzlich,
Solche Reden hat er viele
Stehn in seinem Wörterbuche,
Das die größten Sprachgelehrten
Mir nicht auszudeuten wagen,
Und mit dem ich alle Tage
Mehr mein bisschen Deutsch verlerne.